Über den Negroni gibt es Bücher zu füllen. Kein anderer Drink steht so sehr für die italienische Aperitifkultur wie der rubinrote, herbe und kraftstrotzende Drink aus Florenz. Auch, wenn die Begrenzung anmaßend erscheint, wollen wir dem alten Herren heute in sieben Fakten huldigen.
Er ist der Urgroßvater der Aperitivo-Familie, der Inbegriff bitter-süßer Verführung und die flüssige Schnittstelle zwischen Feierabend und Nightlife. Oder sollte man bei einem dermaßen italienischen Drink sagen: Der Pate?! Der klassische Drei-Komponenten-Drink zu gleichen Teilen: Campari, süßer Wermut und Gin. Aber viele Drinks wären keine Köstlichkeiten ohne das spezielle i-Tüpfelchen. Im Falle des Negroni wäre dies die frische Orangenzeste mit ihren fruchtig-aromatischen Ölen.
Ein Drink mit Geschichte und Geschichten. Fast jeder, der sich in der Barwelt umtut, weiß seine eigene Negroni-Story zu berichten. Wir schauen uns heute sieben kleine Schlaglichter zu diesem ehrwürdigen, doch ewig jugendlichen Star an.
1) Ein Hauch Karl May – Graf Camillo Negroni, der Cowboy
Er ritt durch die amerikanische Prärie, er trat zum Rodeo an, zockte an den Kartentischen des Wilden Westens und unterrichtete die Fechtkunst in New York. Womöglich hatte der junge Abenteurer dort seine Leidenschaft für den Cocktail entdeckt. Zurück in Italien, kehrte er an einem Bartresen in Florenz ein.
Zur damaligen Zeit war der „Americano” sehr populär, der aus Campari, süßem Wermut und Soda Water besteht, beziehungsweise dessen Vorgänger: der „Milano-Torino“ aus Campari aus Mailand und Wermut aus Turin. Dem Grafen war dieser Drink zu schwach und so forderte er den Bartender auf, das Soda Water durch Gin zu ersetzen. Voilá, der Negroni erblickte das Licht der Barwelt.
2) Florenz – Die Wiege des Negroni
Eine Gedenktafel hängt an dem opulent ausgestatten Caffe Giacosa des Modeschöpfers und Designers Roberto Cavalli. Das Schild erinnert an den Vorgänger, die Bar Casoni, an deren Tresen der Negroni Cocktail einst Realität wurde.
Es war wohl im Jahr 1919, zum Beginn der Prohibition in den USA, als Bartender Fosco Scarselli erstmals die drei flüssigen Komponenten miteinander vermengte und dem Grafen Negroni und gleichsam dem italienischen Norden eine neue Getränkespezialität bescherte.
Ein Gang durch die Bars und Caffès des heutigen Florenz beschert leider zumeist wenig Negroni-Freude. Verwässertes Eis, billiger Wermut und runzlige Orangen sorgen dafür, dass die Aperitivo-Gäste doch eher auf einen Rebsaft aus den umliegenden, herrlichen Weingütern zurückgreifen. Das hätte sich Graf Camillo sicher nicht bieten lassen.
3) Der Bart ist ab – Der falsche Negroni Nr. 1
Auf dem legendären Cocktail Festival „Tales of the Cocktail“ spielt das italienische Moment stets eine bedeutende Rolle. Zu den Vorträgen oder auf den privaten Veranstaltungen treffen sich italienische und italienisch-stämmige Bartender aus aller Welt, um die Heimat und ihre Produkte zu zelebrieren. 2011 versammelte sich der Italo-Bartending-Freundeskreis, um den größten Negroni der Welt zu mixen. 114 Liter vermengten die Bartender, die allesamt mit Schnauzbart und zylinderartigen Hüten zu Werke gingen. Ihr Outfit bezog sich auf das Foto eines Mannes, welches immer wieder historische Abhandlungen über den Negroni begleitet und angeblich den Grafen Camillo zeigt.
In Wahrheit bildet das Foto Arnold Henry Savage Landor ab, einen in Florenz geborenen englischen Maler, Schriftsteller und Entdecker. Mittlerweile ist ein Bild des echten Grafen Negroni bekannt, welches ihn bartlos zeigt.
4) Immer Ärger mit den Korsen – Der falsche Negroni Nr. 2
Lange Zeit kam ein weiterer Herr Negroni aus Korsika ins Spiel und sollte die Früchte der Cocktail-Erfindung ernten. Graf Pascal Olivier de Negroni soll während seiner Militärzeit in Westafrika den Drink erfunden haben. Dieser Graf verstarb 1913, somit wäre sein Drink der frühere gewesen. Die Nachfahren der beiden Negronis giften noch heute gegeneinander um die Urheberschaft des Cocktails. Ein Nachfahre des korsischen Negroni bestritt vor einiger Zeit, dass es einen Camillo Negroni jemals gegeben hätte.
Aber die ernst zu nehmenden Cocktailhistoriker sind sich weitestgehend einig, dass wir mit Camillo auf der richtigen Fährte sind. Zumal mittlerweile eine Geburturkunde aufgetaucht ist, welche die Geburt von Cammillo Luigi Manfredo Maria Negroni am 25. Mai 1868 in Florenz beurkundet.
Die Kollegen von drinkingcup.net widmeten sich der Identität sehr akribisch und stellen ihre Forschungsergebnisse online vor.
5) Erblassen, Erröten oder Vermasseln
Der Negroni bietet eine der grandiosesten Grundrezepturen überhaupt. Die komplexe Süße des Wermuts und die geradlinige Bittere des Camparis lassen der Spirituose genug Raum, um sich köstlich zu entfalten.
„Vermasselt“ heißt auf italienisch „sbagliato“ und geht auf die Geschichte zurück, dass ein Bartender statt Gin aus Versehen Schaumwein in den Drink gab. Das Resultat mundete den Gästen dennoch und so war der Negroni Sbagliato, der vermasselte Negroni, geboren.
Darüber hinaus bewährten sich Varianten, wie der Boulevadier (mit Bourbon oder Rye Whiskey), der Agavoni (mit Tequila) oder der East India Negroni (mit Rum und Sherry). Weitere Varianten experimentieren mit Schokolade, Cynar, Jägermeister oder Limoncello und bleiben vielleicht Geschmackssache aber eher weniger Negroni. Für viele gehört das leuchtende Rot zum Negroni wie die Olive in den Martini. Aber so, wie Martini-Trinker auch gerne einmal auf eine Zitronenzeste zurückgreifen, dürfen die Liebhaber des Rot auch einmal die Ästhetik von Weiß erproben.
Der White Negroni ist womöglich eine der elegantesten Neuinterpretationen des Klassikers, erdacht 2001 von Wayne Collins: 6 cl Plymouth Gin, 3 cl Lillet Blanc, 2 cl Suze Likör und eine Zitronenzeste. Zudem bietet der Negroni günstige Bedingungen, um die Phänomene von Fass- und Flaschenreifung zu erproben. Cocktaillegende, Bar-Autor und glaubwürdiger Exzentriker Gaz Regan widmete dem Negroni bereits zwei Bücher. Etliche wunderbare Rezepturen und Abwandlungen sind darin gesammelt.
6) Cocktail & Charity
Kein Cocktail tut so viel Gutes. Der Schauspieler und Regisseur Orson Welles war ein großer Liebhaber des Negronis lobte einst die gesundheitlichen Vorzüge des Drinks (die Nachteile wollen wir getrost kurzfristig ignorieren): „The bitters are excellent for your liver, the gin is bad for you. They balance each other.”
Ergo: Negroni ist gut für die Leber und seit einiger Zeit auch für die Gesellschaft. Seit 2013 wird jährlich die Negroni-Week gefeiert. Etliche Bars beteiligen sich an der Negroni Week und spenden einen Teil der Erlöse für wohltätige Zwecke. Traditionell trägt auch die Marke Campari mit einem ordentlichen Betrag zum Erfolg der Cocktail-Spenden-Woche bei. Eine großartige Maßnahme, die auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz Nachahmung finden soll. Die nächste Negroni Week findet vom 1. Bis zum 7. Juni 2015 statt. Ein hervorragender Anlass, wieder einmal zum Negroni zu greifen.
7) Negroni ist eigentlich Wurst
So selten ist der Familienname Negroni in Italien nicht. Zu den Familien der Grafen Camillo Negroni und Pascal Olivier de Negroni gesellt sich noch die Sippe des Pietro Negroni. Pietro errichtete 1907, also vor der Erfindung des Drinks, in Cremona, etwa 200 Kilometer nordwestlich von Florenz, eine Wurstwaren-Fabrikation, aus der sich ein stattlicher Lebensmittelkonzern entwickelte. Über die Trinkvorlieben des Salami-Spezialisten wissen wir wenig, aber die Internet Domain negroni.com gehört dem Lebensmittelunternehmen. Die Domain negroni.de steht übrigens gerade zum Verkauf.
Der Beitrag Sieben Fakten über den Negroni erschien zuerst auf Mixology.